Jürgen Fuhrmann ist der Cooperative Mensch eG auf verschiedenen Ebenen verbunden: ob als ehemaliger Bewohner, in seiner 35-jährigen Arbeit in der Telefonzentrale unserer Integrationskindertagesstätte im Prettauer Pfad oder als stellvertretende Schwerbehindertenvertretung der Genossenschaft. Wir sprachen mit ihm über seine persönliche Geschichte, seinen Weg zur Cooperative Mensch eG und was ihm wichtig ist.
Herr Fuhrmann, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen. Könnten Sie sich kurz vorstellen: Wer Sie sind, wie Sie zur Cooperative Mensch gekommen sind?
Mein Name ist Jürgen Fuhrmann, ich bin geboren am 25. Dezember 1962. Ich bin zufällig in die damalige Spastikerhilfe gekommen. Damals in die Kranzallee, das war früher eine Wohngruppe gewesen. Und dann sagten die zu mir: „Gehen Sie mal vorbei am Prettauer Pfad, vielleicht suchen die da jemanden." Dann bin ich dahingegangen, kam da an und sollte irgendwas mit Blumen machen. Unkraut rausziehen, und da hab ich dann die Blumen rausgezogen. (lacht) Das war ein bisschen falsch, da sagte der damalige Hausmeister: „Jürgen, komm mal, ich habe was anderes für dich.“ Und dann kam der Leiter des Hauses und brachte mich zur Telefonanlage. Die gleiche, die ich auch in der Ausbildung hatte im Annedore-Leber-Berufsbildungswerk. Da habe ich eine Ausbildung als Büro- und Verwaltungsfachpraktiker gemacht. Und das war Glück gewesen.
Im Prettauer Pfad sagten die mir: „Uns gefällt das, wie Sie hier alles machen, die Telefonzentrale bedienen und alles. Wir möchten Sie behalten." Und da konnte ich erst mal gar nichts sagen. (lacht) Und dann sollte ich unterschreiben und hatte den Vertrag gehabt. Das war 1988 und heute bin ich 35 Jahre dort. Mit 25 bin ich in die Kranzallee gezogen. Na und bei uns im Prettauer Pfad waren dann eigentlich noch Schuleinrichtungen. Dadurch war es halt ein bisschen verzweigter.
Sind Sie auch im Prettauer Pfad zur Schule gegangen?
Nein, da bin ich nicht zur Schule gegangen. Ich war auf mehreren Schulen, weil ich früher schon eine Gehbehinderung hatte. Ich habe auch mehrere Brüche gehabt und so. Ich hatte am Anfang bei meiner Mutter und bei meinem Vater gewohnt. Und als mein Vater weggezogen ist, habe ich bei Pflegestellen gewohnt. In der Pflegestelle ist mir passiert, dass ich meinen ersten Unfall hatte. Da sind Panzer über die Straße gefahren und ich bin durch die Panzer durch und habe das Auto nicht gesehen. Und bin mit dem Kopf auf die Bordsteinkante. Und dann war ich anderthalb Jahre im Krankenhaus gewesen. Und dann sagten die: „Komm mit.“ Und auf einmal war ich im Heim gewesen von 1972 bis 1980. Na ja, und dann bin ich im Heim wieder hingefallen, aus der Badewanne. Und war wieder im Krankenhaus.
Und wie sind Sie anschließend zur Spastikerhilfe gekommen?
Als ich aus der Ausbildung raus bin, bin ich erst zu meiner Mutter. Wir hatten aber oft Streit. Dann bin ich da wieder raus und bin beim Bezirksamt gewesen und habe nachgefragt, ob die nicht irgendwas haben, weil ich arbeitslos war. Dann war ich im Bezirksamt Spandau. Und die haben mir dann geholfen. Die haben gesagt: „Ja, wir haben was für dich.“ Und dann sollte ich erst mal bei alten Leuten Kaffee ausschenken, hat denen wohl nicht so gut gefallen. Na ja, und dann bin ich zu einer Gruppe gegangen. Wie viel waren das? Vier oder fünf mehrfach Schwerbehinderte. Ja, und da war eine drinnen, hat zu mir gesagt: „Jürgen, ich habe was für dich. Gehe doch einfach mal zur Kranzallee hin, da suchen die jemand." Ich bin hin, habe mich da vorgestellt und die wollten mich nehmen. Na und dann bin ich nach Hause, habe meine Sachen geholt, meine Mutter war sauer gewesen, (lacht) aber das war mir egal. Und ich war jedenfalls erst wieder draußen, bei ihr konnte ich nicht bleiben. Und so kam ich in die Wohngruppe in der Kranzallee.
Seit 35 Jahren arbeiten Sie jetzt im Prettauer Pfad und haben viele Entwicklungen in Berlin miterlebt. Gibt es ganz besondere Erlebnisse, an die Sie gerne zurückdenken?
Das Kurioseste, wenn ich das noch sagen darf, das war der Tag, als die Mauer aufging. Oder ein paar Tage später. Ich habe noch nie so viele Anrufe gehabt. Ich habe an dem Tag 630 Anrufe gehabt. Ich habe sie gezählt. Als auf einmal die Mauer aufging, dann haben alle bei uns angerufen haben.
Und was wollten die Leute von Ihnen wissen, also warum haben die ausgerechnet bei der Spastikerhilfe angerufen? Waren das Menschen, die selbst Behinderungen oder Angehörige mit Behinderungen hatten?
Ja, ich glaube. Meistens alles so Behinderten-Sachen. Und wo ich dann hin verbinden sollte. Die wollten alle zu uns hinkommen und sich das angucken oder halt was machen. Das war der beste Tag eigentlich und der lustigste. Ja, lustigste kann man nicht sagen, aber der beste Tag. Den ich nie vergessen werde. Ich habe es noch aufgeschrieben gehabt, aber da waren wirklich so viele. Ich war nur am Telefon dran.
Gibt es etwas, was Sie im Bereich Inklusion in Berlin in den vergangenen Jahren besonders gefreut oder geärgert hat?
Ja, das ist eigentlich schwer zu sagen. Gefreut hat mich jetzt so eine Fortbildung, die ich mitgemacht habe über Inklusion und so weiter. Aber wie heute, wenn man das so sagen darf, in Anführungsstrichelchen mit Behinderten manchmal umgegangen wird, immer noch, das finde ich manchmal nicht so würdig. Kann man das so sagen?
Auf jeden Fall. Könnten Sie da ein Beispiel nennen? Was Sie konkret stört?
Ja, konkret so nicht. Ich habe früher viel erlebt. Aber in einigen Teilen ist es besser geworden. Ich bin ja auch Schwerbehindertenvertreter, bei uns auf der Arbeit ist alles gut und so weiter, das finde ich gut in der Kita. Also wir fangen ja auch mit Inklusion an. Für mich selbst ist aber meine Musiktherapie wichtig. Da habe ich mein Motto her: Ich steh auf. Das habe ich durch ein Lied von Roland Kaiser. Der singt da auch, stehe auf und mache weiter. Das Lied gefällt mir halt und so ist das auch bei mir.
Das ist doch ein sehr gutes Motto, oder?
Ja! Und die Musik hilft mir, es hilft, dass ich singe. Und manche Leute kommen einem entgegen, die lachen, manche laufen vorbei, aber das ist mir alles egal, ich mache es für mich. (lacht) Ja, ich bin so ein Musikmensch. Als kleines Kind hatte ich nicht viel gehabt. Und dann, ich war im Heim gewesen, da hatte ich selbst schlechte Erfahrungen gehabt. Das einzige Schöne waren die Reisen da. Na ja, und dann habe ich mich selbst an Musik aufgebaut. Und ich habe damals schon deutsche Musik gehört. Früher war ich ein Fan von Howard Carpendale. (lacht) Heute habe ich halt andere, die mir mehr in der Musik geben, also, die mir mehr Texte geben, zum Beispiel Roland Kaiser. Leute, die schöne Texte machen. Und danach, eigentlich war alles bis jetzt schön gewesen, da danke ich noch mal allen. Und sonst, die ganzen Jahre, wenn ich so zurückdenken kann, fand ich eigentlich alle schön, so wie es gelaufen ist. Und ich muss auch sagen, ich habe wahrscheinlich auch ein bisschen Glück gehabt. Aber manchmal gehört Glück halt dazu. (lacht)
Gibt es denn noch etwas, was Sie sich für die nächsten Jahre wünschen? Wo Sie sagen, also, das wäre noch mal so ein Traum von mir?
Dass vielleicht bald doch der Frieden kommt und der da Schluss macht. Weil ich halt auch für Frieden bin und Friedenslieder, Friedensgedichte geschrieben habe. Und damals ist mir auch passiert, als ich ein Friedensgedicht geschrieben habe, dass der Falklandkrieg am Ende des Jahres auf einmal vorbei gewesen war. Vielleicht sollte ich das noch mal machen. (lacht)
Herr Fuhrmann, vielen Dank für das Gespräch!
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