Durch die Verbesserung der medizinischen Versorgung im Allgemeinen ist auch die Lebenserwartung von Menschen mit geistiger Behinderung gestiegen, so dass diese Bevölkerungsgruppe ebenso mit den zunehmenden degenerativen Erkrankungen im höheren Lebensalter konfrontiert wird. In vielen Fällen muss sogar mit einem früheren Beginn dementieller Syndrome gerechnet werden, da es sich häufig um sekundäre Demenzen handelt, die als Begleitsymptome anderer Grunderkrankungen wie Epilepsie, Stoffwechselerkrankungen und kardiovaskuläre Erkrankungen auftreten können. Beim Down-Syndrom ist bereits ein früher Beginn der Alzheimer Demenz bekannt, so dass genetische Faktoren auch bei anderen Syndromen eine Rolle spielen können. Auch bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung kann es zu einer Manifestation dementieller Symptome kommen, wie sie in der Gesamtbevölkerung auftreten. Jedoch lässt sich eine dementielle Entwicklung oft schwerer von einem physiologischen Alterungsprozess unterscheiden, da aufgrund der Vorschädigung ein anderes Hirnleistungsniveau als Ausgangsbasis zum Vergleich herangezogen werden muss. Bekannte neuropsychologische Testverfahren zur Früherkennung und Verlaufsbeurteilung sind häufig nicht anwendbar, da sie auf kognitive Leistungen wie örtliche und zeitliche Orientierungen, Rechenfunktionen und Lese- und Schreibkenntnisse basieren, die eventuell im Vorfeld kaum verfügbar waren. Außerdem weicht die Symptomatik von den eher bekannten Verlaufsentwicklungen ab. Als validestes Kriterium zur Diagnostik bei Verdacht auf Demenz gilt bei Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung die Messung über den Zeitverlauf Zeit. In unserem MZEB bieten wir eine Assessment-Strategie an, die mit der Erfassung des individuellen Leistungsniveaus als Referenz beginnt, bei Menschen mit Down-Syndrom ab dem 40., bei Menschen mit einer intellektuellen Entwicklungsstörung ab dem 50. Lebensjahr. Dies kann sowohl zur Früherkennung beitragen als auch die Basis für die Verlaufsdiagnostik darstellen. Wir laden dazu die Patienten regelmäßig zu einer Verlaufskontrolle ein. Im Rahmen unseres Diagnostik- und Therapiekonzeptes bieten wir gerne auch aufsuchend Beratungen zur demenzsensiblen Beziehungs- und Umgebungsgestaltung an, die an das jeweilige Stadium der Demenz angepasst sind. Da demenzielle Verhaltensweisen oft auch eine Belastung für Mitbewohner darstellen, kann es sinnvoll sein, uch diese in Gesprächs- und Beratungsangebote mit einzubeziehen.
Epilepsien gehören zu den häufigsten Begleiterkrankungen bei Menschen mit einer geistigen (Beeinträchtigung und können bei schweren frühkindlichen Schädigungen sogar bei jedem zweiten betroffenen Menschen auftreten. Diese Epilepsien sind häufig schwerer ausgeprägt und neigen mehr zu einer Pharmakoresistenz, d.h. die eingesetzten Medikamente gegen Epilepsie führen seltener zu einer vollständigen Anfallsfreiheit. Häufig verbreitet und leider auch in vielen Fällen erforderlich ist die gleichzeitige Gabe von mehreren Antiepileptika, was nicht selten zu einer problematischen Zunahme von Nebenwirkungen führt. Die Therapie mit Antiepileptika ist also auch immer eine Abwägung, die ausgiebig geklärt werden sollte. Häufig finden sich zudem noch ältere Antiepileptika im Einsatz, die sich durch aktuellere, nebenwirkungsärmere Präparate ersetzen lassen.
Nicht selten ist die Lebenserwartung von Menschen mit einer komplexen Beeinträchtigung geringer als in der Allgemeinbevölkerung. Aber auch unabhängig von dieser Tatsache ist das Lebensende eine Gewissheit, mit der wir uns auseinandersetzen müssen, sei es bei Verwandten, im Freundeskreis oder in einem weiter gestreckten sozialen Kontext. Dass man dieser Gewissheit mit einer notwendigen Würde begegnen möchte, ist eine tiefgreifende Überzeugung, die keiner Diskussion bedarf. Viel schwieriger fällt es dann, wenn dieses Menschen betrifft, die aufgrund ihrer besonderen Situation selten die Gelegenheit hatten, sich über ihr eigenes Lebensende Gedanken zu machen. In unserem MZEB bieten wir eine Beratung zur gesundheitlichen Versorgungsplanung an. Wir begleiten die Menschen dabei, gemeinsam mit einem Unterstützerkreis ihre individuellen Wünsche und Bedürfnisse, ihre Träume, Ängste, Hoffnungen und Ziele, ihren (mutmaßlichen) Willen für das Leben und die letzte Lebensphase zu entwickeln und mitzuteilen. Um diese in einer hospizlichen und palliativen Begleitung umsetzen zu können, steht das multiprofessionelle Fachteam des MZEB zur Verfügung. Dieses setzt sich zusammen aus den beiden Ärzten, einem Altenpfleger mit den Zusatzqualifikationen algesiologische Fachassistenz und Wundexperte sowie mir als Psychologin und Beraterin für die gesundheitliche Versorgungsplanung am Lebensende. Neben der Beratung und Unterstützung hinsichtlich Medizin und Pflege sowie der psychosozialen bzw. spirituellen Begleitung aller beteiligten Menschen, erfüllen wir auch eine Lotsenfunktion. Wir vermitteln auf Wunsch Kontakte zu Palliativärzten und -pflegeteams, Hospizdiensten, Kirchengemeinden oder anderen Glaubensgemeinschaften, Rettungsdiensten, Krankenhäusern, Bestattungsinstituten und weiteren hilfreichen Einrichtungen.
Auf den Begriff psychische Störung wurde hier bewusst verzichtet, da Verhaltensauffälligkeiten eben nicht zwingend eine psychiatrisch relevante Störung als Ursache haben. Stattdessen kann eine Vielzahl von Faktoren zu diesen Auffälligkeiten führen, die es zu eruieren gilt. So können körperliche Beschwerden verändertes Verhalten hervorrufen; ebenso muss auch an Störungen im sozialen Kontext, an Überforderungen und auch an medikamentöse Wechselwirkungen gedacht werden. Erschwerend kommt hinzu, dass Verhaltensauffälligkeiten nicht immer auf die Ursache schließen lassen, sondern sehr individuell ausgeprägt sein können. So können z.B. Schmerzen bei dem einen zu Rückzugstendenzen führen, bei dem anderen hingegen zu gereiztem Verhalten führen. Auf der Basis eines verstehenden Ansatzes, d.h. auf der Grundlage einer differenzierten funktionalen Diagnostik erarbeiten wir gemeinsam mit den Bezugspersonen hilfreiche Interventionen. Die verstehende Diagnostik umfasst die Diagnostik der kommunikativen Fähigkeiten, die rehistorisierende Diagnostik, die entwicklungsspezifische Diagnostik sowie die Analyse der Umgebungsfaktoren und Interaktionsstrukturen. Ein verstehender Betreuungsansatz ist nicht nur sinnvoll für den Umgang mit herausforderndem Verhalten, sondern wirkt sich auch positiv auf die Arbeitszufriedenheit und Prävention von Überforderungssymptomen bei den Mitarbeitenden aus. Wir beraten die Patienten, die An- und Zugehörigen sowie die betreuenden Teams der verschiedenen Lebensbereiche bei der gemeinsamen Entwicklung bedürfnisgerechter Angebote und Begleitkonzepte. Gerne bieten wir dies auch im Rahmen von Hausbesuchen in der Lebenswelt der Patienten an. Erst nach dieser differenzierten Betrachtung kann eine Behandlung bzw. Beratung eingeleitet werden
Vor der Gründung der MZEB war die Versorgung von Menschen mit geistiger bzw. mehrfacher Behinderung nur bis zum 18. Lebensjahr durch die Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) gewährleistet. Eine multiprofessionelle Folgebetreuung gab es nicht, bzw. musste durch das ambulante System der Niedergelassenen gewährleistet werden. Oft fällt zudem das 18. Lebensjahr auch in die Zeit, in der die schulische Betreuung endet und berufliche Bildungsmaßnahmen beginnen. Fast regelhaft findet auch eine Neubeurteilung des GdB (Grad der Behinderung) statt. Das MZEB bietet hier eine nahtlose multiprofessionelle Anschlussbetreuung an die Versorgung eines SPZ.
Verschiedene sogenannte Entwicklungsstörungen wie z. B. Autismus, ADHS, Dyskalkulie, Legasthenie, Dyspraxie, aber auch Synästhesien, Tourette-Syndrom oder Hochbegabung werden im Konzept der Neurodiversität als eine von vielen Varianten der Entwicklung betrachtet, die derselben gesellschaftlichen Dynamik unterliegen wie andere Formen der Diversität.
In den vergangenen 20 Jahren hielt der Begriff Neurodiversität verstärkt Einzug in Wissenschaft, Bildung und Arbeit und wird kontrovers diskutiert. Wir entscheiden uns für den Begriff der Neurodiversität zur Beschreibung neurologischer Unterschiede, da das Konzept dazu anregt ein soziales Modell von Behinderung zu fördern und unser Verständnis von Normalität und Abweichung zu hinterfragen. Es zielt im Sinne des BTHG (Bundesteilhabegesetz) darauf ab Stigmatisierung und Barrieren abzubauen und die Stärken und Fähigkeiten neurodivergenter Menschen anzuerkennen. Dadurch soll eine inklusivere Gesellschaft gefördert werden, in der (neurologische) Unterschiede respektiert und anerkannt werden.
Unser medizinischer Ansatz basiert auf einer umfassenden, ganzheitlichen Sichtweise, die die einzigartigen Perspektiven der betroffenen Personen und ihres Umfeldes berücksichtigt.
Die Diagnose neurodiverser Bedingungen erfordert ein sorgfältiges und differenziertes Vorgehen und umfasst:
1. Anamnese der persönlichen, familiären und schulischen/beruflichen Geschichte.
2. Standardisierte psychologische Testverfahren zur Identifikation spezifischer neurokognitiver Fähigkeiten und Herausforderungen.
3. Verhaltensbeobachtungen in verschiedenen Umgebungen (z.B. Wohnen, Arbeitsplatz), um das Verhalten und die Interaktion in sozialen Kontexten zu verstehen.
Durch diesen differenzierten Ansatz schaffen wir eine solide Basis für die nachfolgende Beratung der Person und des begleitenden Umfeldes. Hierbei legt das Neurodiversitätskonzept den Fokus auf Akzeptanz und Abbau von Barrieren, anstelle einer forcierten Anpassung und „Maskierung“ der Besonderheiten im Erleben und Verhalten einer Person.
Menschen mit mehrfachen Behinderungen oder intellektueller Beeinträchtigung sind häufig durch die Komplexität ihres Versorgungsbedarfs auf ein ebenso großes Spektrum in der medizinischen Regelversorgung angewiesen. Da das System der Regelversorgung sich aber in vielen Fällen an den Bedürfnissen der nichtbehinderten Allgemeinbevölkerung orientiert, erfordert die Inklusion in diesen Bereichen eine besondere Koordination. Hierbei muss auch geklärt werden, was an medizinscher Versorgung benötigt wird. Auch der diagnostische Sektor ist auf eine regelhafte Umsetzung orientiert, sodass auch hier dieselben Hürden bestehen, wie in der medizinischen Behandlung.